Sonntag vor einer Woche stand meine erster Marathon auf dem Programm. Aber kein normaler, sondern einer mit 1500 Hm und ich hatte so meine Zweifel, ob es clever war, genau diesen für den ersten Marathon auszuwählen. Und wie es dazu kam ist schon ziemlich lächerlich. Folgende Konversation spielte sich am 29.06. in Whatsapp ab, kurz nachdem ein Kumpel scheinbar meinen Blogbeitrag zum „Basetrail“ gelesen hatte.

Boris 11:02 – <schickt mir ein Logo vom Heidelberg Trailmarathon, von dem ich bis dahin noch nie was gehört hatte>
Boris 11:05:) Was hast du denn dieses Jahr noch vor?
Ich 11:06 – Erstmal steht noch ein kleiner Firmenlauf in Heilbronn an. Dann fahr ich im August mit 2,5 Wochen mit Steve nach Kanada … Da wird wohl auch nur gelaufen ;-). Und Anfang September lauf ich wahrscheinlich noch in Darmstadt beim Halbmarathon mit.
Ich 11:07 – Hm .. Aber Ende Oktober. Dis dahin könnte ein Marathon drin sein. Klingt interessant.
Ich 11:16 – Ach, scheiß drauf. Angemeldet. Das Video sah toll aus. Danke für den Tipp.
Boris 11:33 – Du bist ein Typ :-)

Und nach dieser wohlüberlegten Entscheidung ergab es sich, dass ich am 27.10.2013 das erste Mal in meinem Leben einen Marathon hinter mich gebracht habe. Und wie das so war, erzähle ich jetzt und hier.

Rennbericht

Meine Vorbereitung auf das Rennen verlief ähnlich lächerlich wie die Anmeldung. Sie war kaum existent. Beruflich habe ich seit dem Kanadaurlaub ziemlich viel zu tun und habe September und Oktober eigentlich jeden Tag 10 – 13 Stunden im Büro verbracht. Das hat die Anzahl der Läufe ziemlich reduziert, so dass ich hauptsächlich an Wochenenden dazu gekommen bin ein paar Kilometer zu machen. Abgesehen davon, dass ich sowieso keine große Lust auf Trainingspläne habe, hätte ich es zeitlich eh nicht hinbekommen einem typischen Marathonplan zu folgen. Dennoch, sei es nun Arroganz, Naivität oder Selbstvertrauen, war ich kein bisschen aufgeregt. Den Abend zuvor ging es zum Italiener was Essen, danach ein paar Sachen zurechtgelegt (Hose, Schuhe, Shirt, Uhr, Regenjack) und dann habe ich geschlafen wie ein Baby. Gut ausgeruht gings dann nach Heidelberg und auf der Autobahn wurde ich erstmal geblitzt. Sicher ein gutes Omen, wenn ich jetzt schon zu schnell bin. Entgegen der Warnungen auf der Homepage der Veranstalter hatte ich keine Probleme einen Parkplatz in der City zu finden und war somit früh genug am Start, um mich in aller Ruhe umzuziehen und ein bisschen umzuschauen. Ich kam mir deutlich underdressed vor: Da es auf der Strecke alle 5 km eine Verpflegungsstation geben sollte (jede zweite zwar nur Wasser, bleiben aber trotzdem 4-5 mit Verpflegung), hatte ich eigentlich nichts weiter dabei außer meinen Laufklamotten und der Regenjacke. Im Gegensatz dazu konnte ich bei meinen Mitläufern Getränkefläschchen, Riegel, Gels, etc. in rauen Mengen sichten und auch klamottentechnisch wurde einiges geboten. Mein Favorit hatte einen Ganzkörperanzug an, wie die Schwimmer noch vor 4-5 Jahren. Von Kopf bis Fuß war keine Naht zu erkennen, alles windschnittig und sogar die Schuhe wurden durch Stulpen mit lustigen Haken an dem Gesamtkunstwerk fixiert. Ein paar Tage später hätte ich auf ein Halloween-Alien getippt, aber das gehörte wohl so. Insgesamt muss ich sagen, dass die Ausstattung der Läufer deutlich aufwändiger war, als beim 50-Miler in Kanada. Was das über die jeweiligen Teilnehmer aussagt, kann jeder für sich selbst entscheiden.

Um 9:00 Uhr ging es dann los und der Start erst mal schief. Es gab 4 Startblöcke, die im Abstand von 1 Minuten losrennen sollten. Aber irgendwie hat wohl niemand daran gedacht nach dem Startschuss die Gruppen 2-4 zurückzuhalten, also lief gleich die versammelte Mannschaft los. Aus dem Lautsprecher kam noch irgendwas von wegen „Hey, aber so war das nicht geplant …“ und schon war der Sprecher außer Hörweite. Da aber die Teilnehmerzahl vergleichweise gering war, wurde das kein Problem. Das Gedränge am Start sowie die Pace zu Beginn war tatsächlich deutlich geringer als bei meinen beiden Halbmarathons. Wobei ich mich auch direkt sehr weit hinten eingereiht hatte, was sicher zur Entspannung begetragen hat.

Die ersten 2-3 Kilometer drehte man zunächst eine Runde durch die schöne Heidelberger Altstadt. Die Stimmung durch die Zuschauer war gut, aber nicht ganz so toll wie beim Start in Heilbronn oder an der Zugspitze. Weiter ging es über die Neckarbrücke in Richtung Philosophenweg und sofort knackig eine Straße bergauf. Ich hatte mir von Anfang an vorgenommen steiler Stücke von Anfang an zu gehen, anstatt zu laufen. Lieber etwas Zeit verlierem, als nicht anzukommen. Ich stellte fest, dass es die meisten meiner Mitstreiter so halten, also passt das ja. Nach den ersten 100 Hm hat man einen wunderbaren Ausblick über den Neckar und ganz Heidelberg. Nach einer stürmischen Nacht ist jetzt die Sonne rausgekommen und man wird gleich mal mit einem super Ausblick belohnt. Sehr schön. Derweil geht es weiter die Straße bergauf, die dann schließlich von Asphalt in einem geschotterten Forstweg übergeht. Trails sehe ich da noch nicht, aber schön steil ist es. Auf dem ersten Hügel angekommen, laufen wir einmal durch die Thingstätte, ein Nazibauwerk, dem man seine Herkunft deutlich ansieht: Protzig, klotzig groß, irgendwie beeindruckend. Hier nehmen wir die ersten Stufen des Tages, wohlwissend, dass noch einige kommen werden, und danach kann man die Beine ein bisschen ausschütteln, denn es geht bergab. Wieder geht es eine Forststraße, aber mit mäßigem Gefälle, so dass man bei schnellem Tempo trotzdem ganz gut die Beine regenerieren kann. Die ersten 10 km sind geschafft, läuft doch. Jetzt kommt der erste kleine Motivationsknick: Hier befindet sich nämlich eine Wechselzone. Dort wechseln die Teams, die den Marathon als 4er-Staffel angehen, das erste Mal ihren Läufer. Das hat natürlich zur Folge, dass plötzlich rund um einen herum viele frische Läufer aus dem Nichts auftauchen. Faules Pack ;). Andererseits gibt es einem später um so mehr Bestätigung, wenn man einen dieser Etappenläufer trotzdem überholen kann, also passt das schon :).

Nach der Wechselzone geht es hoch auf den zweiten Hügel. Wieder Forstweg und Straße, weiterhin keine Trails. Aber die Stimmung unter den Läufern ist gut. Während man so die Anstiege nach oben geht, bleibt einem ein bisschen Luft für das ein oder andere Gespräch. So unterhalte ich mich ein bisschen mit Christoph, der schon seit dem Start ungefähr in meiner Pace läuft. Er hat schon einige Bergmarathons in der Schweiz hinter sich und gibt mir noch ein paar Tipps, nachdem ich ihm erzählt habe, dass das hier mein erster Marathon ist. So ziehen sich die Forststraßen ohne größere Highlights dahin.

Nach ca. 2:15 habe ich die ersten 20km und 2 von 3 Anstiegen hinter mich gebracht. Zwischendurch ging es mal ein paar kurze Stücke über eine matschiges Stück Waldboden, aber dann gleich wieder auf die Straße und erstmal 9 km bergab. Hier nehmen wir wieder ziemlich Tempo auf und es läuft noch ziemlich gut. Weiterhin unterhalte ich mich mit Christoph. Wir checken unsere Uhren und versuchen abzuschätzen, ob wir unter 5 Stunden bleiben könnten oder nicht. Wir kommen zu dem Schluß, dass das ne knappe Kiste wird. Da er aber mit 5:15 geplant hatte, ist er sehr zufrieden. Da ich gar nichts geplant hatte, bin ich es auch :-). Gegen Ende des Abstiegs merke ich dann jedoch langsam meine Knie, denn diese Asphaltabbremserei geht doch ziemlich auf die Knochen. Bei Km 29 wird nochmal verpflegt und jetzt wartet der letzte Anstieg auf den Königsstuhl. Zunächst geht es wieder Straßen hinauf, doch bald wird man auf einen Pfad in den Wald entlassen. Jetzt kommen die ersten Wegstücke, die ich „Trail“ nennen würde. Leider merke ich schon nach den ersten Höhenmetern, dass meine Beine auf den letzten 30 km schon ganz gute Arbeit verrichten mussten und sie nun langsam die Lust verlieren. Insofern habe ich nun nicht besonders viel von dem bisher schönsten Streckenabschnitt, denn aus dem Lauf wird jetzt langsam aber sicher ein Kampf. An laufen ist nun nicht zu denken, sondern ich trotte den Weg hinauf. Christoph ist ein bisschen flotter unterwegs, aber ich bleibe immer in Sichtweite und ziehe mich an ihm hoch. Immer dem roten Shirt nach. Gogogo. So halte ich einigermaßen die Pace. Bis Kilometer 35, denn dieser Kilometer ist ein Arschloch. An besagtem Kilometer wartet nämlich die Himmelsleiter. Wer die nicht kennt, sollte sich mal überlegen, worauf er nach 35 km Laufen am wenigsten Bock hat. Na? Richtig! Auf ca. 1000 Stufen …

Um es kurz zu machen: Ich war am Ende. Aber richtig. Ich habe mich noch nie im Leben so langsam einen Weg entlang gekämpft. Und doch überhole ich jetzt wieder Christoph, der scheinbar noch mehr kämpft als ich. Schneckenrennen total. Jeder Schritt eine Qual, und der folgende Schritt schlimmer als der vorherige. Stufe um Stufe geht es ganz gerade eine Treppe hinauf, deren Ende man nicht sehen kann. Nur eine endlose Schlange von Läufern. Irgendein Witzbold hat in regelmäßigen Abständen auf Steine am Wegrand draufgesprayt wie viele Stufen noch auf uns warten. Wenn einem gerade jede einzelne Stufe so weh tut, wie eine rechte Gerade von Klitschko, freut es einen doch zu hören, dass man nur noch 500 davon kassiert, bis alles vorbei ist. Ein Traum. Doch wie es immer ist, geht auch diese Tortur irgendwann zu Ende und zum Glück wartet oben die nächste Verpflegungsstation. Ich schaue mich kurz um, aber Christoph ist nicht mehr zu sehen.

Nach einem kurzen Check der Uhr – 5 Std. sind für mich noch drin – setze ich mich wieder in Bewegung. Ab jetzt sollte es nur noch bergab gehen. Und da: Jetzt wird es trailig. JETZT. Wieso erst JETZT? Was solls denke ich mir und gebe Gas. Hinab so schnell die Beine tragen und das ist noch erstaunlich schnell. Ich düse an einigen Leuten vorbei, denen ich wahrscheinlich auch durch mein Schuhwerk auf dieser Passage etwas überlegen bin. Einige, die mich auf der Treppe überholt haben, kann ich jetzt wieder einsammeln. „Na geht doch“, denke ich. „Denkste“, sagen die Oberschenkel. Und so wurde aus dem Kampf ein handfester Krampf. Im Allgemeinen habe ich glücklicherweise keine großen Probleme mit Krämpfen und spare mir auch Magnesiumtabletten und sowas. Aber irgendwann ist ja immer das erste Mal und spätestens jetzt war buchstäblich jeder Schritt ein Krampf. Ich konnte mir durch unterschiedliche Laufstile zwar aussuchen welche Muskeln krampfen, und die Krämpfe brav gleichmäßig verteilen, aber ganz ohne ging es bergab nicht mehr.

Trotz aller Wiedrigkeiten waren die 5 Std. im Bereich des Möglichen, doch dann kam ein letzter Gegenanstieg, den ich nicht auf dem Plan hatte. Nur 40 Hm mit ganz flacher Steigung eine Straße hinauf. Doch ich konnte es nicht mehr laufen, jeder Boardstein schien mir nun zu hoch. Also nochmal ein paar Minuten gehen und danach ging es wirklich nur noch bergab. Kurz durchs Schloß und dann runter in die Altstadt. Kampf, Krampf, aber die letzten Meter gehen eben immer irgendwie. Man will ja nicht vor den Zuschauern zusammenbrechen. Im Schlußspurt werde ich noch einem Mädel in einem Mordstempo überholt. „Die läuft sicher Staffel“ rede ich mir ein .. ob das stimmt, keine Ahnung. Ist auch egal, denn ich habs geschafft. Erster Marathon. Dabei 1500 Höhenmeter zurückgelegt. 5:01 Std. gebraucht. Kurz genervt, dass keine 4 vorne steht, aber danach nur noch Freude. Geschafft. Fertig. Pause.

Mein Fazit zur Veranstaltung

Grundsätzlich war der Lauf für mich eine sehr positive Erfahrung. Die Stimmung war ok, die Heidelberger Altstadt und die vereinzelten Blicke auf das Neckartal waren fein und auch an der Organisation gab es nichts groß zu meckern, sofern ich das mit meinem begrenzten Erfahrungsschatz beurteilen kann. Ich habe das erste mal einen Marathon beendet und auch mit der Zeit bin ich mehr als zufrieden. Also alles tiptop. Ich bin jedoch mal gespannt, wie sich die Veranstaltung weiter entwickeln wird. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob der Lauf langfristig auf breite Akzeptanz stoßen wird, denn viele euphorische Teilnehmer konnte ich im nachhinein eher nicht vernehmen. Von Straßenläufern habe ich zwischendurch bei harten Steigungen mehrfach Kommentare gehört wie „Das ist ja kein Rennen, sondern eine Wanderveranstaltung“. Leute die lieber querfeldein oder Bergrennen laufen, waren von den vielen betonierten Forststrecken etwas enttäuscht. Insofern ist die Frage, ob man es nicht zu vielen recht machen will, und am Ende niemanden wirklich begeistert. Zumal sich die landschaftlich schönen Ecken auf mehrere Aussichten auf Heidelberg beschränkt haben. Ansonsten gab es eben viel Wald. Da haben Bergmarathons in den Schweizer Alpen sicher mehr zu bieten. Ich für meinen Teil werde höchstwahrscheinlich nicht noch einmal teilnehmen, sondern mich in Zukunft eher auf „echte“ Trailrennen in den „echten“ Bergen konzentrieren.

Movescount

P.S. Christoph ist übrigens in der Altersklasse 55 gelaufen. Meinen allergrößten Respekt.