Gestern war es so weit. Raceday. Der Tag warum wir hier sind. Naja, bei mir nicht so ganz, schließlich habe ich mich ja erst kurzfristig vor einer Woche hier angemeldet. Aber das klingt viel dramatischer ;-). Nichtsdestotrotz hatte ich ein kleines kribbeln im Bauch. Und auch wenn man „nur“ 23 km zurückzulegen hat, macht man sich so seine Gedanken. Schließlich wird man sogar auf der Homepage vor der Strecke gewarnt „This is a THOUGH one“ und „It should NOT be your first trail race“. Da darf man schon mal ein bisschen nervös werden, schließlich war das ja auch erst mein zweites Trailrennen überhaupt.

Mein Lauf

Mein Start sollte um 8:00 sein, also Wecker auf 6:00. Ich habe sehr gut geschlafen und bin auch nicht durch Steve aufgewacht, der ja schon deutlich früher los musste. Sein Start für die 50 Meilen war schon um 5:30. Als ich also langsam meine Äuglein aufschlug, war er schon 30 Minuten unterwegs. Meine Laufsachen hatte ich am Vorabend zurechtgelegt, also nur noch in Ruhe frühstücken und dann langsam fertig machen. Allein unsere Rennvorbereitung war eine logistische Meisterleistung: Steves Start und Ziel war beides im Zentrum von Squamish. Mein Ziel war dasselbe, allerdings war mein Startpunkt wo anders, nämlich an der „Quest University“, Aid Station #5 für Steve. Ich bin also ungefähr die letzten 23 km von Steves Strecke gelaufen. Wie der Zufall so will ist diese Aid Station #5 nur einen kurzen Fußweg von unserer aktuellen Unterkunft entfernt. Somit konnte Steve mit dem Auto runter in die City fahren, dort parken, mir noch schnell schreiben wo die Karre steht, losrennen, ich lauf zum Start, renn das Rennen und wenn ich fertig bin hol ich die Karre wieder ab. Dass unsere beiden Autoschlüssel vom Mietwagen mit einem störrigen Draht verbunden waren, geschenkt. Walmart hat Seitenschneider. Jetzt müssen wir bei der Rückgabe nur erklären, wieso wir „aus versehen“ den Draht abgerissen haben. Aber das wird schon.

Back to topic. Raceday. Ich schlender also gemütlich zum Startpunkt und bin ca. eine halbe Stunde vor Rennstart dort. Auffällig ist, wie lässig hier das ganze zugeht. Beim Basetrail haben sich die Leute schon 45 Minuten vorher in die Startaufstellung begeben, die vorderen Plätze waren direkt vollgedrängt (ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass nur ca. die halbe Teilnehmerzahl am Start war). Hier muss ich erstmal schauen in welche Richtung man überhaupt losrennt, weil die Leute kreuz und quer rumstehen, quatschten, Fotos machten oder einfach noch gar nicht da sind. Manche kommen locker flockig 5 Minuten vorher und schwups gehts los. Apropos 5 Minuten. Ganze 5 Minuten vorher kommt die Ansage, dass man sich ja mal langsam an die Startlinie begeben könnte, weil der Race Director Gary noch was sagen möchte. Er klärt ganz kurz wie die Wegmarkierungen aussehen, macht ein paar Witze, fragt wer so verrückt ist und DOCH sein erstes Trailrennen hier macht und …. ups …. in 30 Sekunden gehts ja los … „Ok, guys have fun. 3.2.1. Go!“. Und los gehts. Kein Gedrängel und nix. Zurecht denkt sich wohl jeder, auf die paar Sekunden kommt es jetzt auch nicht an.

Nach dem Start geht es einen knappen Kilometer die Straße entlang, genau richtig damit sich das Feld ein bisschen nach Geschwindigkeit sortieren kann, und dann zweigt direkt ein schmaler Trail ab. Und ab geht die wilde Fahrt. Es geht direkt aufwärts, schön über Stock und Stein. Nicht zu steil, so dass man das meiste noch im Laufschritt nehmen kann, aber niemals gleichmäßig: Der Weg ist sehr wellig, viele Steine, Wurzeln, Stufen, glatte Felsen, kurze steile Stücke, dafür dann wieder etwas bergab. Eben alles dabei, was Spaß macht und weh tut. Ich laufe mit einem älteren Mann und einem Mädel als Dreiergruppe hinauf. Ich könnte wohl ein bisschen schneller, aber das würde sich rächen. Ganz sicher. Mein Puls schlägt eh schon konstant auf 170. Also bleibe ich den kompletten Aufstieg mit den beiden zusammen. Nach gut 5 km und dem ersten und auch längsten Anstieg der Strecke kommt gleich eine Aid Station. Doch noch brauche ich nicht wirklich viel und begnüge mich mit etwas Obst und einem Schluck Wasser.

Danach geht es kurz bergab, aber dann gleich wieder zum höchsten Punkt der Strecke. Der liegt nur bei knapp über 400 Hm, aber wer 50 Mal einen Deich hoch und runter rennt weiß auch was er gemacht hat. Hier kommen ein paar steilere Stückchen hinzu, die ich dann gehen muss, sonst nimmt das hier kein gutes Ende. Das Feld hat sich mittlerweile ziemlich auseinander gezogen. Hat man auf dem ersten Stück bergauf noch einige Leute überholt oder wurde überholt, so bin ich jetzt ziemlich allein. Meine zwei Laufkumpanen/-innen habe ich bei dem Stück bergab hinter mir gelassen und jetzt sehe ich weit und breit niemanden mehr. Hier ist jetzt der längste Downhill angesagt. In 2-3 km geht es nun über 300 Hm hinunter. Diesen Streckenabschnitt habe ich mir vorher gemerkt. Mein „Problem“ ist nämlich, dass es mir bergab zu viel Spaß macht und ich da immer Gefahr laufe zu schnell zu rennen …. und beim nächsten Gegenanstieg kommt dann der Gong. Also ich versuche es möglichst gemütlich angehen zu lassen. Dennoch schließe ich zu 3-4 anderen Läufern auf, aber ich merke jetzt schon, dass die bei jedem kurzen Gegenanstieg (natürlich geht es auch hier nicht nur bergab, sondern immer in Wellen … wär ja auch zu einfach) mehr Power haben als ich. Also verzichte ich auf überholen und mach nochmal einen Schritt langsamer. Dann folgt noch ein Kilometer Forststraße mit moderatem Anstieg den ich sogar noch laufen konnte und es erscheint meine zweite Aid Station des Tages. Hier mache ich ein bisschen länger Pause. Wasser. Cola. Obst. Nüsse. Alles rein und Beine kurz ausschütteln. Ich bin jetzt ca. 1:30 unterwegs und die Beine brennen schon ganz schön. Nach 2-3 Minuten geht es weiter.

Ich bin eigentlich ganz gut drauf: Mehr als die Hälfte liegt hinter mir, sowohl was die Höhe als auch die Entfernung angeht, und die Zeit passt auch (ich hatte mir als Ziel gesetzt unter den 3 Stunden zu bleiben). Doch das gute Gefühl ist nach 100m verschwunden. Denn jetzt geht es wieder bergauf, aber nicht so wie vorher, sondern richtig. Wo vorher die Anstiege noch einigermaßen moderat waren, werden sie jetzt einfach nur steil. Nicht besonders lang, nein, aber steil. Sacksteil. Sausteil. Arschsteil. Und wenn man 10m hoch geklettert ist, geht es gleich wieder ein paar Meter bergab. Dann geht es auch schon wieder 100 Hm abwärts, aber mit ausruhen ist da nicht viel, weil auch immer wieder steile Stückchen aufstauchen, die man eher runterspringen als laufen muss. „Hallo Knie, noch da? Autsch!! Ja, ist es.“. Und weil der letzte Aufstieg ja so schön war, machen wir das Gleiche noch mal. Gefühlt noch steiler. Unglaublich. Ganz langsam kämpfe ich mich mit kleinen Schritten hinauf. Das einzig Schöne ist jetzt, dass ich einen überhole, der noch mehr flucht als ich. Gemeinsam verfluchen wir Gary, den Race Director, der die Strecke geplant hat. Das belebt. Den Abschluss des Anstiegs bildet eine Steinplatte, so steil, dass ich stehend nur die Arme nach vorne ausstrecken muss um den „Boden“ zu erreichen. Da kommt Freude auf. Doch dann ist es geschafft: Ein Streckenposten sagt, dass es ab jetzt nur noch bergab geht. Wehe, das ist eine Lüge … ist es aber zum Glück nicht (bis auf die „normalen Wellen“, die sich bis zum Ende durchziehen … aber das ist man ja schon gewohnt).

Bergab wird es auch nochmal relativ steil, und einige Treppen laufen einem auch noch über den Weg, aber dann ist man unten angekommen und die letzten 2 km gehen dann flach in Richtung Ziel. Da zieht sich die Zeit natürlich ewigst, aber wenigstens brennen nicht die Beine wie Feuer. Vor mir ist noch ein Läufer, der mich an der vorletzten Bergaufpassage überholt hatte, bergab ist er aber wieder in Sichtweite gekommen. Er läuft nun ca. 50m vor mir, ich kann aber nochmal aufholen. Den würde ich schon gerne noch schnappen. Doch kann kommt eine komische Abzweigung, ich denke erst er rennt falsch, doch stelle dann fest, dass ich falsch renne und somit etwas abgekürzt habe. Jetzt bin ich nur noch knapp 10m hinter ihm, aber stelle dann meine Jagdbemühungen ein. Ich fände es unfair, ihn jetzt noch zu überholen, da ich ja aus versehen etwas abgekürzt habe. Naja, jedenfalls ist das doch im Zweifelsfall eine gute Ausrede, warum ich es nicht geschafft habe, oder? So komme ich ein paar Meter hinter ihm mit einer Zeit von 02:52:36 ins Ziel (jedenfalls auf meiner Uhr … die offizielle Zeit ist noch nicht draußen). Glücklich. Zufrieden. Erledigt. Durstig. Hungrig. Sorry, dass es von dem Lauf keine Bilder gibt. Aber ich hatte andere Dinge im Kopf als Fotos zu schießen: Atmen, Laufen, Überleben und solche Dinge.

Race Support

Nachdem ich mich im Ziel nur schnell gestärkt hatte, ging es gleich weiter. Das Auto stand am vereinbarten Ort und ab gings nach Hause unter die Dusche. Zwar hätte man auch im Ziel duschen können, aber ich hatte kein Duschzeug dabei. Obwohl das Duschen sicherlich eine Erfahung wert gewesen wäre, denn das was ihr da links auf dem Bild seht, ist der Eingang zur Dusche. Wie der Zielsprecher alle 5 Minuten wiederholte: „Achtung! An alle die duschen wollen. Schaut auf die andere Straßenseite. Da ist ein Fenster und ein Schild vom Squamish50 Lauf. Vor dem Fenster steht ein Stuhl. Klettert auf den Stuhl, klettert durch das Fenster und steigt in das Hotelzimmer. Da drin gibt es eine Dusche. Wenn ihr neue Handtüscher braucht, ruft den Zimmerservice.“ Noch Fragen?

Zuhause habe ich schnell geduscht, den Rucksack mit Mountain Dew vollgepackt (Steve liebt Mountain Dew) und mich wieder auf den Weg zur Quest University gemacht, wo ich heute Morgen schon mal war. Nur diesmal ist es kein Start, sondern eine der Verpflegungsstationen auf Steves Weg. Kaum bin ich dort angekommen, schon schreibt er mir wie verabredet eine SMS, dass er ca. 5 km weg ist. Passt doch alles. Nach 30-40 Minuten erscheint er auch und wird erstmal mit Mountain Dew versorgt. Er hat nun 50 km in den Knochen, 30 km liegen noch vor ihm. Das ist nun ungefähr die Strecke, die ich auch gerannt bin. Nur müssen die 50-Meiler noch einen zusätzlichen 7km-Loop überwinden, der mir erspart geblieben ist. Für den Rest der Strecke versuche ich so gut es geht Infos zu geben, damit er weiß, was auf ihn zukommt. Nach einem kurzen Plausch nehme ich noch seine Dropbag entgegen, weil er die hinterlegten Ersatzschuhe nicht benötigt und dann geht es weiter. Steve rennt, ich fahr Auto. Ich mache einen kurzen Abstecher zu Walmart, noch etwas Mountain Dew Nachschub besorgen. Der Mann braucht Sprit.

Da man Steves nächste Aid Station #6 nicht als Zuschauer anfahren darf, habe ich jetzt etwas Zeit. Ich fahre zurück zum Ziel und komme gerade zur rechten Zeit, denn gerade kommen schon die Sieger der 50 Meilen ins Ziel. Gewonnen hat Adam Campbell in 07:36h. Krasse Leistung. Zweiter wurde Jason Louttit nur 3 Minuten dahinter. Die beiden habe sich wohl auf der Strecke insgesamt 5 mal gegenseitig überholt. Das war ein knappes Ding. Erwähnenswert ist hierbei noch, dass Jason auch den Sonderpreis für denjenigen gewonnen hat, der die ersten 10km am schnellsten zurücklegt. Er ist die ersten 10km in geschmeidigen 36 Minuten gerannt. Und danach dann noch 70km um den Gesamtsieg kämpfen. Unmenschlich. Dass die beiden ein paar Minuten nach dem Zieleinlauf lustige Interviews im Zielbereich geben passt ins Bild.

Ich lasse es weiter gemütlich angehen und schlendere noch ein bisschen über den Farmers Market, der immer samstags stattfindet und direkt neben dem Ziel stattfindet. Da wird was gegessen und ein paar Countrysängern gelauscht die auf einem Dach stehend die Straße mit Musik unterhalten. Auf der Straße stehen Couches. Interessant. Danach geht es wieder ins Auto. Steves letzte Aid Station #7 will ich anfahren. Da war ich heute ja auch schon mal, weiß ungefähr hinter welchem Berg sie liegt, also werde ich den weg schon finden. Die Wegbeschreibung per Auto habe ich mir natürlich nicht vorher im Internet angeschaut, sondern habe nur ein winziges Bild einer stilisierten Karte auf dem Smartphone. Karte angeschaut, losgefahren. Nach 10 Minuten komme ich ans hintere Ende eines großen Wohngebietes und müsste jetzt auf eine Forststraße einbiegen. Doch da ist eine Schranke. Doof. Jetzt habe ich die Wahl: Zurückfahren bis zum Highway und schauen wo ich auf die Zufahrt der Forststraße komme (die ist nämlich auf meiner Karte nicht drauf), oder laufen. Da der restliche Weg auf der Karte nicht zu lang aussieht und mir die Berge auch schon bekannt vorkommen, stelle ich die Karre ab und entscheide ich mich fürs Laufen. Kann ja nicht weit sein. Tja, 2 km später durch pralle Sonne ist das nächste Shirt des Tages durchgeschwitzt. Aber ich bin da, sogar noch etwas zu früh nach meiner Hochrechnung. Wie sich herausstellen sollte, war ich ca. 1,5-2 Stunden zu früh, denn diese extra Schleife, die Steve im Gegensatz zu mir drehen musste, war wohl schwerer als ich dachte. Jedenfalls lässt das Steves Schrei „UNMENSCHLICHE SCHEIßE“ vermuten. Diese Pause wird etwas länger, denn Steve ist nun ziemlich im Eimer (aber das könnt ihr selbst in seinem Blog lesen). Zwei Mountain Dew später geht es aber weiter.

Ich laufe wieder gemütlich zurück zur Karre und fahre langsam zurück zum Ziel und jetzt heißt es wieder warten. Nach und nach trudeln Läufer ein, die ich heute schon 2 mal gesehen habe, während ich an den Aid Stations auf Steve gewartet habe. Interessante Typen sind hier dabei und vor allem ist krass wer alles so ein Rennen durchsteht (es kommen zu diesem Zeitpunkt sowohl die 50km-Läufer als auch die 50-Meiler ins Ziel). Junge Menschen, alte Menschen, scheinbar übergewichtige Menschen, alles dabei. Aber am krassesten sind zwei Mädels, die auch die 50 Meilen gerannt sind. Steve hat die zwei schon an der Quest University erwähnt („Alter, die labern die ganze Zeit miteinander“). Und ich habe sie auch an der nächsten Station gesehen: Geredet wie ein Wasserfall, während sie den Anstieg hochspazieren. Und beim Zieleinlauf: Weiter geredet. Als wär das ein gemütlicher Kaffeeklatsch. Ich weiß nicht welche Leistung größer ist: Dass sie für die 50 Meilen (also 80km) nur 11:50h gebraucht haben, oder dass sie die gesamte Zeit genug Gesprächsthemen hatten. Unfassbar. Nach 12:42 kommt dann Steve ins Ziel. Wunschzeit mit einer 12 vorne erreicht, am Arsch wie sau :-). Im Ziel angekommen wird er noch von Gary zu einem kurzen Interview gebeten, weil er wegen dem Rennen extra aus Deutschland eingereist ist. Coole Sache. Danach Chauffiere ich Steve noch zum McD zur McFlurry-Therapie und zum nächstgelegen See um die Beine abzukühlen. Danach gehts nur noch nach Hause uns ins Bett. Mehr zu seinen Leiden soll er selbst erzählen :-).

Steves Blogbeitrag: http://www.uptothetop.de/2013/08/11/squamish-50-hoellenritt/
Laufinfos: http://www.movescount.com/moves/move17012034