Squamish50. Da sind wir nun also und ich suche nach einem Ausweg. Vorgestern hätte ich noch von den 50 Meilen auf die 50 Kilometer verkürzen können. Aber mit welcher Begründung? Respekt? Angst? Trainingsrückstand? Alles Ausreden. Schließlich hatte ich es ja selbst in der Hand für das nötige Training zu sorgen. Und ich wusste auch nur zu gut was auf mich zukommt. Einen großen Teil der Strecke bin ich schon in Etappen gelaufen. Und ich habe gesehen, wie Steve letztes Jahr quasi zur letzten Verpflegungsstation gekrochen kam. Der Steve, dessen Waden dicker sind als die von Chuck Norris. Der Typ, der immer um mich rumtänzelt, wenn wir zusammen laufen und mich aus allen Lagen fotografiert. Der Verrückte, der kurz nach dem 100km Ultratrail noch eine Königsseeumrundung hinlegt, während ich nach meinen 60km immer noch eher krieche anstatt zu laufen. Also ist die Frage „Was tue ich hier eigentlich?“ wohl berechtigt und die Zweifel an meiner Fitness nagen nicht, sie beißen genüßlich ganz große Stücke ab. Am Tag vor dem Start veröffentlicht der GingerRunner noch ein letztes Video, bevor auch er in Squamish läuft. Der ist dieses Jahr laut Strava schon 3 mal so viele Kilometer und Höhenmeter gerannt wie ich. Er zweifelt genauso. Und ich frage mich nur, ob mich das nun beruhigen sollte, oder ob komplett ausflippen die korrekte Reaktion wäre … aber es hilft ja nix, da muss ich jetzt durch.

Diese Unsicherheit hat auch dazu geführt, dass ich mir erstmals vor dem Rennen ein bisschen Gedanken bezüglich der Taktik gemacht habe. Beim Supertrail war ich zum Beispiel viel zu schnell im ersten Drittel des Rennens. Das wollte ich dieses Mal unbedingt verhindern, denn das tut hier mal so riiichhtttiiigg weh. Und da mich mein Körper zu Beginn eh verarscht und mir erzählt „Alles top hier unten, lauf schneller“, helfen nur harte Fakten. Also habe ich mir eine Pacetable zusammengestellt und mir Richtzeiten für die markanten Punkte auf der Strecke überlegt. Als Basis habe ich Steves Zeiten aus dem Vorjahr genommen und auf die meisten großzügig Zeit draufgeschlagen. Außer bei den letzten 3 Etappen, da er da komplett auf dem Zahnfleisch unterwegs war. Genau das sollte ja nicht passieren. Mein Ziel war unter 14 Stunden zu bleiben. So sah die Tabelle dann aus:

Checkpoint Km Split Aufstieg (m) Abstieg (m) Zeit Steve 2013 geplante Zeit
Aid 1 10,00 50 50 00:53 01:00
Debecks Hill 6,50 520 80 00:54 01:05
Aid 2 4,00 45 311 00:25 00:30
Aid 3.1 7,50 324 184 01:02 01:15
Aid 3.2 9,50 314 314 01:03 01:25
Galactic Scheisse 6,50 743 82 01:23 01:35
Quest University 9,00 109 942 01:19 01:35
Aid 6 9,00 641 453 01:57 01:50
Aid 7 8,00 324 562 01:34 01:40
Ziel 10,00 350 450 02:11 02:00
Gesamt 80,00 3420 3428 12:41 13:55

 

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Was das Mitführen der Liste angeht, habe ich mir Steve als Vorbild genommen. Alles auf die Softflask draufgeschrieben und somit immer griffbereit und in Sichtweite. Jetzt mussten die Zeiten nur noch irgendwas mit der Realität zu tun haben. Aber das würde ich ja früh genug herausfinden. Ansonsten waren die Vorbereitungen recht übersichtlich: Die einzigen Regeln, was die Ausrüstung angeht, waren: Stirnlampe bis Aid Station1 (weil es noch im Dunkeln losging) und keine Stöcke.

Also hatte ich möglichst wenig dabei:

  • 5l-Salomon Laufrucksack mit 2 0,5l Softflasks (ohne Trinkblase)
  • 2 Riegel von Clifbar und einen von Powerbar
  • dünne Regenjacke, hauptsächlich als Windschutz beim Start, damit ich nicht auskühle
  • iPod Shuffle mit dem Album vom GingerRunner „Grinds“ und verschiedenen Housebeats von Soundcloud (danke Steve, für den Tipp)
  • Suunto Ambit (ohne HR, weil ich in letzter Zeit irgendwie das Gefühl habe, dass er mich beim Atmen behindert)
  • Dropbag mit Ersatzschuhen, noch 2 Clifsbar und eine Dose Mountain Dew für die Aidstation ca. bei KM50

Als dann um 3:30 Uhr morgens unsere Wecker klingelten, wurde nur noch schnell gefrühstückt, Sachen geschnappt und los. Endlich hatte der Jetlag auch was positives. Da ich immer noch nicht so richtig in der neuen Zeitzone angekommen bin, ist das Aufstehen auch um diese Uhrzeit gar nicht so schlimm.

Start bis Aidstation 1 (10 km / 50 Hm / geplante Dauer: 01:00)

Am Start ging es wie letztes Jahr bei meinem 23k – Lauf sehr gelassen zu. Anstatt langer Race-Briefings am Vortag oder gezogenen Vorträgen wird das hier flott ca. 15 Minuten vor dem Start gemacht. Hier ein kleiner Tonausschnitt zum dem Part, in dem der Racedirector Gary auf die Gefahren durch Wildtiere wie Bären, Pantern oder Schlagen hinweist 😉

 

Darauf folgt dann schnell das Erklären der Kursmarkierungen und ca. 1 Minute vor dem Start wird gezeigt wo überhaupt die Startlinie ist und in welche Richtung es losgeht. Schnell 3,2,1 los und ab geht’s. Man hat gar keine Möglichkeit sich vorher zu viele Gedanken zu machen. Plötzlich ist man mittendrin im Rennen. Jeder kann das finden wie er will. Ich finde es grandios sympathisch. Die gesamte Startprozedur kann man sich auch nochmal in diesem Video hier anschauen.

Direkt nach dem Start verabschieden sich Steve und ich. Steve hat sich eine flottere Zeit zum Start vorgenommen, also werden wir uns direkt trennen. Das kommt mir entgegen, weil ich so nicht Gefahr laufe unvernünftiger Weise seine Pace halten zu wollen. Also sortiere ich mich weit hinten ein. Die ersten 10 km sind komplett flach und gehen vom Hafen entlang des Squamish Rivers in Richtung Berge, dennoch sind hier schon schöne Trails dabei. Meine Suunto zeigt mir eine Pace von exakt 6:00 und so geht die erste Stunde recht gemütlich dahin, da ich mich auch nett mit einem Kanadier aus North Vancouver unterhalte, der ganz begeistert ist, dass wir von so weit her zu nem Rennen fliegen. Nach 01:01 gebe ich an der Aid Station 1 meine Stirnlampe ab und danach geht es gleich ins Gelände.

Gesamtdauer geplant: 01:00 
Gesamtdauer erreicht: 01:01

Debecks Hill (6,5 km / 520 Hm / geplante Dauer: 01:05)

Sobald es in den Wald geht, weiß man was einen die nächsten 70 km erwartet und die Trails zeigen sofort was sie drauf haben. Mal weniger steil, mal sausteil, geht es auf schmalen Pfaden hinauf zum ersten kleinen Gipfel. Direkt vor mir ist ein Mädel, das relativ langsam unterwegs ist. Ich denke aber nicht daran zu überholen sondern nehme das als willkommene Gelegenheit Kraft zu sparen. Ein paar Läufern hinter uns geht das zu langsam und sie überholen, was auf diesen Single-Trails gar nicht so einfach ist. Ich lasse mich jedoch nicht verrückt machen, sondern bleibe hinter ihr, bis sie dann mal komplett anhält um die gesamte Kolonne hinter ihr vorbei zu lassen, die ich nun anführe. Ich versuche es trotzdem weiter langsam anzugehen und lasse auch noch ein paar Leute vorbeiziehen. Ich bin von meiner Konsequenz überrascht, aber die Zeit passt fast genau. Ich brauche bis zum Gipfel 01:08, und habe damit meine angepeilte Zeit für diese Etappe nur um 4 Minuten verpasst, ohne dabei dauernd die Uhr zu checken.

Gesamtdauer geplant: 02:05 
Gesamtdauer erreicht: 02:09

Aidstation 2 (4 km / 50 Hm / geplante Dauer: 00:30)

Dieser Abschnitt ist sehr kurz und es geht hauptsächlich bergab zur nächsten Aid Station2 am Alice Lake. Hier merke ich gleich mal, dass ich heute aufpassen sollte wo ich hintrete. Es ist noch sehr feucht vom Regen der letzten Tage und einmal zieht es mir im Downhill die Füße weg, aber es passiert nichts weiter. Hinter mir fragt mich eine Stimme: „Everything alright, buddy?“. Ich erkenne die Stimme als die vom GingerRunner wieder und sage gleich mal Hallo. Wie der Zufall so will, höre ich in diesem Augenblick auch gerade ein Lied von seinem Album, das er tags zuvor veröffentlicht hat. Natürlich teile ich ihm das auch gleich mit und komme damit zu meinen 5 Minutes of Fame, weil ich dadurch in seinem After-Race-Youtube-Video Erwähnung finde. Aber seht selbst ab Minute 5:30, sofern das Video da nicht selbst hinspringt (Gary hatte uns übrigens als „German Contingent“ getauft):

Zur Information: Ich habe nicht so Fanboy-mäßig mit ihm geredet, wie er im Video tut ;).

Ansonsten macht sich auf dem Downhill plötzlich mein Magen-Darm-Trakt bemerkbar. Wie ich später von Steve erfahre ging es Steve ähnlich. Keine Ahnung ob es an der Pasta, der Fertigsoße oder dem Müsli lag. Jedenfalls bekam ich plötzlich Magenkrämpfe. Meist nur leicht, aber 2-3 Mal ging mir ein stechen durch den Magen, wie mit 1000 Nadeln. Und dazu dann Blähungen erster Güte. Bei so einem Ultra sieht man ja grundsätzliches so einiges, weil ab einer bestimmten Zeit die Leute anderes zu tun haben, als auf gutes Benehmen zu achten. Aber es war ja noch recht früh im Rennen und die Leute noch recht eng beieinander, so dass es mir schon ein bisschen peinlich war, die anderen regelmäßig an meinen Magenproblemchen teilhaben zu lassen. Aber was sollte ich tun. Durch das Luftablassen wurden wenigstens die Magenprobleme erträglicher. Aber auch das war wahrscheinlich dahingehend positiv, dass ich auch bei diesem Downhill nicht zu viel Geschwindigkeit an den Tag legte und nach 0:28 an der Aid Station 2 ankam. Dort esse ich eine Kleinigkeit und fülle meine Getränkeflaschen wieder auf. Auch wenn es nicht heiß ist, ist die Luftfeuchtigkeit doch verdammt hoch und ich bin schon komplett durchgeschwitzt.

Gesamtdauer geplant: 02:35 
Gesamtdauer erreicht: 02:37

Aidstation 3.1  (7,5 km / 324 Hm / geplante Dauer: 01:15)

Zum Glück ist auch die nächste Etappe bis auf einen kleinen Schlussanstieg recht harmlos. Ich bleibe weiter im geplanten Tempo unterwegs, das ich recht einfach durchhalten kann. Das Feld ist nun schon etwas zersprengt, der Weg noch einige Zeit recht eben, so dass ich schon einige Kilometer allein abspule und Zeit zum Nachdenken habe. Ich versuche mich an einem kleinen Zwischenfazit und denke darüber nach, dass der Start doch ganz gut verlaufen sei. Als ich dann auf die Uhr schaue bin ich schon ca. 3 Stunden unterwegs und habe so 23-24 km samt 700 Hm hinter mir. Ich denke nur: „DER START? NACH 23KM? HALLO?“ Normalerweise sehne ich mir nun langsam das Ende herbei und jetzt denke ich was von START? Verrückt. Völlig absurd, wie sich bei so einem Ultra doch die Relationen komplett verschieben. Doch das Positive dabei: Wenn ich noch nicht ans Ende denke, habe ich wohl ein bisschen Kraft übrig. Scheinbar passt das Tempo, also weiter. Ein knackiger Anstieg verdrängt erstmal wieder alle Gedanken und nach weiteren 01:09 komme ich in der Aid Station 3.1 an (3.1 weil wir nach der folgenden Etappe wieder an der gleichen Aid Station rauskommen). Ich liege immer noch super in meiner geplanten Zeit.

Gesamtdauer geplant: 03:50 
Gesamtdauer erreicht: 03:46

Aidstation 3.2  (7,5 km / 314 Hm / geplante Dauer: 01:25)

Auf dem folgenden Loop bekomme ich meine Magenprobleme in den Griff, bzw. sie verschwinden einfach langsam, ohne dass ich irgendwas besonderes tun musst. Vielleicht ist nach 4 Stunden auch einfach alle Munition aufgebraucht. Mir soll es recht sein. Der Loop führt einen zunächst über traumhafte Trails langsam bergab (unterbrochen durch die obligatorischen steilen Anstiege zwischendurch 😉 ) nur damit man dann über einen Schotterweg wieder zurück zur Aid Station laufen darf. Dieses Stück zieht sich Kilometer lang im sanften Anstieg den Berg hinauf. Ich bin kurz versucht hier hinauf zu joggen, würde es wahrscheinlich auch gut durchhalten, aber hierauf folgt dann der längste und steilste Anstieg des Rennens. Also will ich immer noch kein Pulver verschießen und mache einen Power-Hike wie die Amis sagen. Nach 01:18 ist der Loop erledigt und die Depots werden wieder aufgefüllt.

Gesamtdauer geplant: 05:15 
Gesamtdauer erreicht: 05:04

Galactic Scheisse (6,5 km / 743 Hm / geplante Dauer: 01:35)

Das mit der festen Nahrung klappt diesmal übrigens besser als an der Zugspitze. Ich essen an den Stationen immer eine Kleinigkeit: Obst, Kartoffeln, Salzstangen und nehme auch an jeder zweiten eines der bereitliegenden Gels zu mir. Das hat bisher wohl ganz gut hingehauen, denn ich fühle mich immer noch Ok. Aber der kommende Anstieg wird erst wirklich zeigen was Sache ist, denn nun geht es hoch hinaus auf fast 1000 Hm. Diesmal kein Auf und Ab … diesmal nur ein Auf Auf Auf. Der Anstieg ist jedoch insofern einigermaßen angenehm, dass er ziemlich gleichmäßig nach oben geht. Wenn man mal seinen Schritt gefunden hat, kann man sein Tempo bis oben durchziehen. Ich kenne die Strecke von unserem Besuch 3 Tage vorher und weiß eigentlich jederzeit wie weit es noch ist. Also Hände auf die Oberschenkel und ab dafür. Irgendwo auf dem Weg nach oben bringt man den Kilometer 42 hinter sich. Der erste Marathon ist also rum, Yippiiee. Mir wird bewusst, dass ich zu diesem Zeitpunkt an der Zugspitze schon massive Krämpfe in den Oberschenkeln hatte. Doch heute: Nichts. Gar nix. Die Beine fühlen sich immer noch gut an. Ein sehr gutes Zeichen. Also geht es weiter hinauf. Ich pushe nicht zu sehr, aber ich überhole nun das erste Mal für heute wieder ein paar Läufer. 3-4 werden es auf dem Weg nach oben sein und nach 01:21 stehe ich am höchsten Punkt und damit erstmals deutlich schneller als die geplante Zeit.

Gesamtdauer geplant: 06:50 
Gesamtdauer erreicht: 06:25

Quest University (9 km / 109 Hm / geplante Dauer: 01:35)

Wer hoch steigt, muss auch wieder runter rennen. Und jetzt kommt der geilste Downhill des Rennens. Es geht 950 Hm hinab zur Quest University, mit nur ein paar Mini Anstiegen dazwischen. Hier habe ich jetzt richtig Spaß. Ich versuche nicht zu viel Gas zu geben, aber auch nicht zu viel zu Bremsen. Das kostet schließlich auch Kraft. Aber hauptsächlich versuche ich Spaß zu haben. Und den hab ich in rauen Mengen. Mit groovigen Electro-Sounds vom GingerRunner auf den Ohren geht es hinab. Nicht viel denken, einfach laufen, hüpfen, springen, landen, wegrutschen, abfangen, abdrücken, ausweichen. In dieser und in anderen Reihenfolgen. Es ist genial. Freude pur. Vor allem mir immer noch nichts weh tut. So kann ich auf dem Weg nach unten 5-10 weitere Läufer einsammeln, die mit den rutschigen Downhills so ihre Probleme habe. Zwischendurch gibt es noch eine kleine Aid Station, bei der ich aber nur kurz verweile und mich gleich in den nächsten Downhill stürze. So geht es weiter bis zur Quest University. Im Nachhinein ist die Downhillzeit von 01:28 gar nicht so super wie ich dachte, aber das liegt wohl daran, das Steve den Downhill da auch immer raushaut wie Sau und ich mich an seinen Zeiten orientiert habe. An der Quest angekommen macht sich erstmal ein wenig Zufriedenheit breit. Ich bin bei der Galactic Scheisse unter den Zeilzeiten geblieben und fühle mich gut. Doch die drei härtesten Etappen kommen noch.

Gesamtdauer geplant: 08:25 
Gesamtdauer erreicht: 07:53

Aidstation 6 (9 km / 640 Hm / geplante Dauer: 01:50)

Vor dieser Etappe habe ich den größten Respekt, und zwar aus zwei Gründen:

  1. Sie ist lang und ich kenne sie kaum. Zwar bin ich einen Teil davon auf meinem 23k Race letztes Jahr gelaufen, aber beim 50 Meiler gibt es noch einen 300 Hm – Loop, den ich bei der kurzen Runde nicht machen musste
  2. … Steve hat diesen Loop verflucht.

Also, jetzt zählt es. Das Kräftesparen ist vorbei, denn hierfür habe ich die Kraft gespart. Hier gilt es jetzt gut durch zu kommen. Wenn ich diese 640 Hm ordentlich hinter mich bringe, sollte die Zeit von unter 14 Stunden kein Problem sein, weil ich die letzten Etappen großzügig geplant habe.

Nach der University geht es erst mal ca. einen Kilometer gerade eine Straße entlang. Vor mir kein einziger Läufer in Sicht. Schade … ich hätte gerne einen zur Motivation vor mir gehabt. Aber egal, im Wald hätte ich den auf längere Zeit eh nicht gesehen. Dann geht der Trail los und ich lege wieder im Power-Hiking los. Es wird zwar steil, aber es geht gut. Immer noch keine Krämpfe, die Oberschenkel haben noch Kraft. Und so geht es dahin. Auf halber Strecke des Aufstiegs kommt der GingerRunner von hinten quasi angeflogen. Er hatte zwischendurch Probleme mit Übelkeit und ist zurückgefallen. Jetzt ist er wieder fit und da sieht man, dass er ein bisschen mehr drauf hat als ich. Im Stechschritt zieht er an mir vorbei. Ich hänge mich noch eine Zeit an ihn dran, halte das aber nicht lange durch und muss abreißen lassen. Das ist zu schnell für mich. Doch dieses kleine Zwischenstück samt etwas Smalltalk war offensichtlich genau das Richtige für mich: Denn Steve erzählt bei diesem Anstieg immer von den nicht enden wollenden Serpentinen, und als ich mich gerade ängstlich frage, wann die endlich anfangen, komme ich beim Streckenposten vorbei, der die Leute notiert, die den Anstieg geschafft haben. Ich bin oben. Ich habe die gefürchteten Serpentinen nicht mal bemerkt!?! WTF?!? Keine Ahnung was los war, aber ab gehts in den Downhill und kurze Zeit später stehe ich an der nächsten Aid Station. Vergangene Zeit: 01:27. Woohhaa. Das ging fix.

Gesamtdauer geplant: 10:15 
Gesamtdauer erreicht: 09:20

Aidstation 7 (8 km / 324 Hm / geplante Dauer: 01:40)

Auf dem Weg zur letzten Aid Station wird mir langsam klar, dass ich sogar unter 13 Stunden bleiben könnte, wenn es so weitergeht. Ich habe zwar bisher schon immer grob abgeschätzt, dass ich etwas schneller unterwegs bin als geplant. Aber wie man auf dem Foto meiner Softflask sieht, habe ich mir bei den Planzeiten immer nur die Zeiten für die Teilstücke aufgeschrieben, nie den kumulierten Wert. Also musste ich die Einzelzeiten erstmal addieren um sie mit der Gesamtlaufzeit auf meiner Uhr abzugleichen. Oh Boy, addieren kann so schwer sein. Wer das nicht glaubt: Einfach mal 9 Stunden am Stück rennen, dann während dem Laufen auf einem unwegsamen Pfad von einem Zettel 10 mit hässlicher Handschrift geschriebene Zahlen ablesen und diese zusammenzählen (mit Übertrag von Minuten zu Stunden!!! 😉 ). Wie dem auch sei: Hier habe ich festgestellt, dass ich sehr gut in der Zeit liege.

Also heißt es nun kämpfen. Und nun wird es so langsam auch zu einem Kampf. Die Anstiege sind kein Problem, die Oberschenkel spielen immer noch gut mit. Aber die Abstiege, die tun nun langsam weh. Und zwar mit jedem Schritt mehr. Jedoch überraschenderweise nicht die Knie, auch mit denen habe ich keinerlei Probleme, sondern die unteren Teile der Schienbeine. Also direkt über dem Gelenk, auf der Vorderseite. Keine Ahnung was da genau schmerzt, Muskeln können da eigentlich nicht viele sein, aber es tat mit der Zeit immer mehr weh. Ein stechender Schmerz, bei jedem Schritt bergab. So versuche ich bergab irgendwie meinen Laufstil zu ändern, um die Füße anders zu belasten, aber so richtig Erfolg verspricht das nicht. Zumal es bei beiden Beinen gleichzeitig auftritt. Also bleibt nur die Zähne zusammen zu beißen. Da kommt mir nun entgegen, dass die letzten Etappen recht wellig sind, also keinen sehr langen Auf- und Abstieg mehr beinhalten. Das ist zwar anstrengend und nervtötend, wenn man dauernd die Richtung wechselt, aber einen langen Abstieg am Ende hätten meine Beine zu diesem Zeitpunkt wohl extrem eklig gefunden. Und so schaffe ich es tatsächlich mit 01:20 nochmal 20 Minuten auf meine Zielvorgabe gut zu machen.

Gesamtdauer geplant: 11:55 
Gesamtdauer erreicht: 10:40

Aidstation 7 (8 km / 324 Hm / geplante Dauer: 01:40)

Die letzte Aid Station liegt hinter mir und selbst wenn ich jetzt langsamer als die geplante Zeit für die letzte Etappe wäre, könnte ich noch unter 13 Stunden bleiben. Damit habe ich die 14 endgültig abgehakt, die 13 soll es sein. Unbedingt. Jetzt also nochmal alles reinlegen, aber das Stück ist so ekelhaft. Die Anstiege sind nicht lang, aber verdammt steil. Man muss manchmal die Hände zur Hilfe nehmen, bei den Abstiegen genau so. Ein Trail, der wenn man fit ist, sicher super viel Spaß macht, aber nach 70km ist er die Hölle. Und das sage nicht nur ich. Und nicht nur Steve. Sondern jeder. Jeder verdammte Teilnehmer sagt das. Und warum? Weil es es so ist. Weil Gary es so wollte. Weil Gary uns leiden sehen will. Arsch. Aber ein lieber Arsch mit coolem Bart.

Und so kämpft man sich da durch. Bis man dann nach einem letzten steilen Anstieg endlich auf einem Felsplateau steht und weiß, dass man es fast geschafft hat. Aber da geht es nur noch bergab. „Nur noch“, wenn einem nicht gerade bergab am liebsten die Füße abfaulen wollten. Aber ich schaue auf die Uhr und stelle fest, dass ich bergauf immer noch ordentlich unterwegs war und reichlich Zeit habe. Also, nichts überstürzen, nix kaputt machen. An bergab rennen ist nicht mehr wirklich denken, es geht hauptsächlich um Schmerzvermeidung. Die letzten Höhenmeter überwindet man über Treppen. Da kann man wunderbar mit Hilfe der Geländer wie auf Krücken runterhüpfen. Eine Wohltat. Und dann ist man unten. Nun nur noch 2 km flach zum Ziel. Langweilig, eintönig, kaugummiartig, es zieht sich. Aber auch die 2km gehen vorbei. Und dann ist da das Ziel. Die Menge jubelt einem zu. Gary unterbricht sein Zielinterview mit einem anderen Läufer. Kommt mir zum Abklatschen entgegen und ich schaffe es sogar noch ins Ziel zu springen. <KLATSCH> Erledigt. Am Ende. Glücklich. Ich schau auf die Zieluhr und die zeigt 12:30. GIGANTISCH. Mit so einer Zeit hätte ich niemals gerechnet und auch jetzt, da ich den Blogbeitrag 3 Tage später schreibe, kann ich es immer noch nicht wirklich glauben.

Gesamtdauer geplant: 13:55 
Gesamtdauer erreicht: 12:30

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