Wecker bis Startaufstellung

Um 2 Uhr geht der Wecker. Die erste von vielen Herausforderungen, die an diesem Tag auf uns warten sollten. Zum Glück konnte ich früh einschlafen und hatte eine recht gute Nacht, so dass immerhin 4,5 Stunden Schlaf zusammen kamen. Kurz den Kopf unters Wasser halten, Sachen anziehen und ab zum Frühstück, das netterweise vom Hotel extra für die Läufer mitten in der Nacht bereitgestellt wird. Um 2:20 komme ich am Speisesaal an, sehe da aber nur Steve und noch einen anderen Läufer warten. Damn. Wir dachten die öffnen schon um 2:00 Uhr, jedoch war 2:30 Uhr richtig. Und so haben wir quasi die erste Etappe unter uns ausgemacht und mit Steve sogar den Frühstückssieger gestellt. Olé Olé.

Nach einem flotten Frühstück machen sich schon um 3:30 Uhr die Busse auf den Weg zum Start und um 4:00 Uhr sind wir vor Ort. Unten am Leuchtturm, direkt am Meer an der Südspitze La Palmas. Quasi das Kap der Guten Hoffnung. Die Temperaturen sind ok, jedoch pfeift ein starker, frischer und auch sandiger Wind, der alles andere gemütlich ist. Glücklicherweise haben wir mit den WUSAs (Christian und Sabrina) zwei Vorjahresteilnehmer dabei und wissen was auf uns zukommt. So kauern wir uns direkt nach Ankunft auf dem Boden der windgeschützten Seite des Leuchtturms zusammen und warten auf den Start, der erst um 6:00 Uhr erfolgen soll. Wir fragen uns mehrfach, ob es notwendig ist uns so früh dort abzuladen, aber wenn man bedenkt, dass 2.000 Teilnehmer über eine schmale Straße bis zum Leuchtturm gelangen müssen, muss eben irgendjemand den Anfang machen. Und das sind diesmal eben wir. Ab ca. 5:30 Uhr stehen Steve, Wu, Sabrina und Rupi dann mit 2.000 anderen Stirnlampen zusammen in der Startaufstellung. Die Aufregung steigt, ein paar Profi-Läufer werden noch kurz vorgestellt, es gibt die typische Anheizermusik, einen kurzen Countdown und ab geht die wilde Fahrt pünktlich um 6:00 Uhr.

Start – Los Canarios, Km 0 – 6,1

Die Läuferschlange kurz nach dem Start

Wenn 2.000 Mann losrennen wird es relativ schnell unübersichtlich und ich verliere die anderen sofort aus den Augen (wir hatten jedoch auch nicht vor gemeinsam zu laufen). Ich folgte meinem Vorhaben es zu Beginn langsam anzugehen um Kraft zu sparen. Das hat zur Folge, dass ich direkt nach dem Start im letzten Drittel der Teilnehmer unterwegs bin und erstmal in einen Stau gerate. Ich bewege mich ein paar Minuten nicht von der Stelle, weil sich die Meute auf einen 1m breiten, aber steilen Pfad begeben muss. So startet das Rennen für mich sehr behäbig. Und obwohl die Strecke hier sogar teilweise gut laufbar ist, muss ich auf dem Weg zu ersten Verpflegungsstation immer mal wieder komplett anhalten. So dauert es geschlagene 1:20 bis ich endlich die erste Verpflegung im kleinen Ort Los Canarios erreiche. Aber da zeigt bereits was uns heute für eine gigantische Stimmung erwarten wird. Obwohl die Sonne noch nicht einmal aufgegangen ist, ist scheinbar das ganze Dorf auf den Beinen. Wie bei der Tour de France laufen wir durch eine jubelnde Menschenmenge, die sich erst kurz vor den Läufern teilt um ihnen Platz zu machen. Es ruft aus tausend Kehlen „Venga Venga Venga!“, „Animo Animo“ oder „Vamos Chicos/Chicas“. Eine krasse Erfahrung.

Los Canarios – Las Deseadas, Km 6,1 – 16,5

Nach der ersten Verpflegung beginnt dann eigentlich erst so richtig das Rennen. Das Feld ist immer noch eng beisammen, aber Staus gibt es wenigstens keine mehr und man kann ein gleichmäßiges Tempo aufnehmen. An Rennen ist jedoch nicht zu denken, denn nun geht es steil hinauf. Auf einem schmalen Weg geht es ab jetzt fast ausschließlich durch Vulkansand hinauf bis auf ca. 2000 Hm. Beim Anstieg macht sich bemerkbar, dass ich mich weit hinten im Feld befinde und ich kann nun Läufer um Läufer überholen. Das gestaltet sich auf dem schmalen Pfad zwar als schwierig, da ich vermeiden möchte den Weg zu verlassen, und überhole so weniger als gewünscht. Aber ich komme dennoch ganz ordentlich voran und spare wahrscheinlich auch noch ein bisschen Kraft. Als ich die Verpflegung kurz nach dem fürs erste höchsten Punkt erreiche fühle ich mich noch erstaunlich gut. Ich hatte im Vorfeld schlimmeres befürchtet.

Las Deseadas – El Pilar, Km 16,5 – 24,1

Der erste Downhill des Tages

Dementsprechend halte ich mich an der Verpflegung nicht lange auf und fülle schnell die Flaschen nach. Beim Aufstieg hatte ich mir noch Mühe gegeben möglichst keinen Sand in die Schuhe zu bekommen, doch spätestens jetzt kann ich dieses Vorhaben begraben. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn nun folgen die Downhills und schon beim ersten großen Schritt hinab stehe ich bis zum Knöchel im Sand. Ausleeren macht eh keinen Sinn, also muss man da nun durch. Der Downhill ist zwar immer mal von Gegenanstiegen unterbrochen aber dennoch geht es recht flüssig dahin und bis zur ersten großen Verpflegungsstation mit Nahrung in El Pilar (vorher gab es nur Getränke) komme ich gut durch. In El Pilar sind vor kurzem die Marathon-Läufer gestartet, dementsprechend ist auch hier die Hölle los, wobei ich die Stimmung nicht ganz so gigantisch finde wie zuvor in Los Canarios.

 

El Pilar – El Reventon, Km 24,1 – 29,9

Das nun folgende Stück ist sehr gut laufbar, da es bis zum nächsten Stop fast flach eine Forststraße entlang geht. Genau richtig um sich ein wenig zu erholen und ein gleichmäßiges Tempo zu finden. Der einzig erwähnenswerte Zwischenfall ereignete sich bei einem kurzen Toilettengang in die Büsche. Denn genau an gleicher Stelle hatte eine Spanierin auch diese Idee, hockt da versteckt hinter einem Busch so dass ich fast über sie stolpere. „DISCLUPE!“ rufe ich schnell und renne noch 50m weiter. Passiert. Ansonsten heißt es nun Kräfte sammeln für den folgenden Abschnitt.

El Reventon – Pico de la Cruz, Km 29,9 – 43,8

Dass nun der wahrscheinlich anstrengendste Teil der Strecke kommen würde, war allen Teilnehmern bewusst, da es nun von 1.400 auf 2.300 Hm hoch gehen wird, mit einigem Auf- und Ab Zwischendurch. Zu Beginn der Etappe steht ein großes Schild, dass es ganze 12,7 km dauert, bis die nächste Verpflegung erreicht ist, was diesen Abschnitt auch noch zum längsten macht. Auf den letzten 10 Km habe ich fast ein bisschen vergessen, dass wir hier ein extrem hartes Rennen vor der Brust haben. Doch jetzt werde ich umso anschaulicher daran erinnert. Es geht direkt steil los und dazu ist es mittlerweile auch recht heiß. So braucht es nur ein paar Minuten bis meine Oberschenkel schreien. Aber nicht so ein bisschen, sondern so richtig. Dennoch laufe ich auf die ersten Marathon-Starter auf und bin fleißig am Überholen. Ich habe zu kämpfen, aber alle anderen um mich herum genauso. Alle gemeinsam kämpfen wir uns nun durch die Hitze nach oben. Ich versuche mir mein Wasser so gut es geht einzuteilen und schaue immer wieder auf die Uhr um die Entfernung abzuschätzen, aber es zieht sich wie Kaugummi. Je weiter ich komme, desto öfter sehe ich Leute stehenbleiben und sich in irgendwelchen Büschen in den Schatten setzen oder legen. Oft stelle ich im Vorbeigehen die Frage „Are you ok?“ und bekomme ein „Yes“ oder „Si“ als Antwort. In den Gesichtern erkennt man jedoch, dass dies eine glatte Lüge ist. Nach dem ersten langen Anstieg geht es dann von Gipfel zu Gipfel immer die Gebirgskette entlang. 100 Hm hoch, 100 Hm runter, 100 Hm hoch, 100 Hm runter. Ich versuche mir das Wasser einzuteilen, aber dennoch geht es langsam zur Neige. Nach gut 12km ist das Wasser aus, aber nun sollte es gleich Nachschub geben. Doch weit und breit keine Verpflegungsstation. Also hoch auf den nächsten Gipfel. Ausschau halten, wieder nix. Runter. Hoch. Ausschau. Nix. Langsam wird mein Mund schon ziemlich trocken und ich muss noch langsamer machen um nicht komplett zu dehydrieren. Nach gut 16 km erreiche ich dann endlich die Verpflegung Pico de la Cruz und die sieht eher aus wie ein Lazarett, als wie eine Verpflegungsstation. Offensichtlich haben sich auf diesem Stück ziemlich viele Läufer vertan und nicht genug Wasser dabei gehabt. Für viele ist das Rennen hier beendet. Ich selbst schütte mir nur haufenweise Wasser und Isodrinks rein und probiere ein bisschen was zu Essen. Hier sehe ich auch erstmals Marius auf einem Stuhl sitzen. Er trägt lustigerweise das gleich Laufshirt wie ich: Das offizielle Rennshirt vom Tromso Skyrace vom letzten Jahr. Wenn man bedenkt, dass da nur knapp 130 Leute mitgerannt sind, ist es doch ein sehr lustiger Zufall sich auf der Transvulcania mit genau diesem Shirt zu treffen. Ich spreche ihn kurz an, aber für einen gepflegten Smalltalk reicht es bei mir nicht mehr. Ich brauche alle Ressourcen um die Beine wieder in Bewegung zu setzen.

Pico de la Cruz – Roque de los Muchachos, Km 43,8 – 50,9

Nun folgt der Anstieg zum höchsten Punkt der Strecke und auch der gesamten Insel. Viele fanden dieses Stück nochmal richtig übel, ich hingegen kann mich ehrlich gesagt kaum daran erinnern. Ich war einfach froh, dass ich wieder ausreichend Verpflegung bei mir hatte, bin langsam aber gleichmäßig über die letzten Gipfel hoch und runter gewandert und habe dabei weiter viel getrunken um den Körper wieder in den normalen Betriebszustand zu versetzen. Vielleicht hatte mein Geist den Körper auch schon längst verlassen. Ich weiß es nicht.

Roque de los Muchachos – El Time, Km 50,9 – 61,8

Ich mache nun eine etwas längere Pause, bei der ich vor dem langen Downhill erstmals meine Schuhe ausleere. Zunächst geht es noch ein bisschen wellig Auf und Ab, bis es dann nach ein paar Kilometern endlich nur noch hinab geht. Eine Zeit unter 13 Stunden scheint noch in Reichweite und so versuche ich es so gut es geht ein bisschen Zeit herauszulaufen. Der Weg ist gut zu laufen und erinnert an Wanderwege wie sie auch in unseren Breiten existieren. Endlich mal nicht nur Sand. Ich schließe regelmäßig auf andere Teilnehmer auf, doch das Überholen gestaltet sich als schwierig. So muss ich immer mal wieder kurze Sprints anziehen um an einer Gruppe vorbei zu kommen. Ich habe schon die Befürchtung, dass sich dieser Kraftaufwand irgendwann rächen wird, aber da es gerade noch funktioniert tu ich es einfach. Jetzt ist nicht mehr die Zeit um zu taktieren. Bis zur Verpflegung in El Time funktioniert das auch ziemlich gut.

El Time – Tazacorte, Km 61,8 – 68,4

Supergeiler Downhill nach Tazacorte (Bild von http://www.uptothetop.de)

Nach El Time merke ich dann aber, dass die Luft endgültig raus ist. Vielleicht hätte ich den letzten Abschnitt etwas gemütlicher angehen soll, aber wer weiß. Der Akku ist einfach leer. Der Weg wandelte sich und man muss nun über Wege mit großen eingelassenen Steinblöcken hinunterlaufen. Hier könnte man bestimmt auch geschmeidig hinabspringen, aber bei mir ist gar nichts mehr mit geschmeidig. An Rennen war nicht zu denken. Die Oberschenkel fangen an zu zittern und zu schmerzen. Da war kein Saft mehr drin. Also gehe ich diesen letzten Abstieg in weiten Teilen wandernd hinab. Auch die letzten 300 Hm den genialen Downhill runter nach Tazacorte kann ich gar nicht mehr richtig genießen, weil nun jeder Schritt hinab schmerzt und ich nur noch nach unten will. In der Verpflegungsstation muss ich mich erstmal hinsetzen und verschnaufen.

Tazacorte – Ziel in Los Llanos, Km 68,4 – 73,3

Ich weiß, dass nun der Schlussanstieg folgt. Gut 5 Kilometer und nochmal 350 Hm geht es hoch ins Ziel. Eine Frechheit. Wieso bauen die das verdammte Ziel nicht einfach hier unten ans Wasser? Als ich aufbreche zeigt die Uhr 12:02. Normalerweise ist das nicht der Rede wert, aber heute bin ich skeptisch ob das noch was wird. Der Weg führt durch ein trockenes Flussbett in Richtung Los Llanos. Als ich wieder nur losen Sand und Steine vor mir sehe, verabschiede ich mich innerlich von den 13 Stunden und trotte müde weiter. Nach einiger Zeit frage ich mich, wann es endlich bergauf geht, da der Weg durchs Flussbett fast eben war. Doch als ich den Anstieg vor mir sehe, bleibt nur noch Fluchen. Die letzten 250 Hm verlaufen auf einem betonierten Weg, der gefühlt senkrecht den Berg hinauf führt. Die Schritte werden furchtbar klein, man kommt fast gar nicht mehr voran. Wenn man die Läufer um sich herum betrachtet, kommt man sich vor wie bei einem Schneckenrennen. Gaaaaaanz laaaaannggssaaaam geht es hinauf. Und plötzlich holt Schnecke Tobias wieder Schnecke Marius ein. Wir hatten uns seit Pico de la Cruz mehrfach gegenseitig überholt, aber als ich beim letzten Downhill nach Tazacorte sehr zu kämpfen hatte, verlor ich ihn aus den Augen. Wir beschließen stumm, dass wir diesen letzten Anstieg gemeinsam hinter uns bringen und ziehen uns nun gegenseitig auf den letzten Metern nach oben und setzen die allerletzten Reserven frei.

Als auch dieser Anstieg geschafft ist, wartet noch die lange Straße in Richtung Ziel. Wir versuchen sie zu laufen, aber wir müssen noch zweimal eine kurze Gehpause einlegen. Dennoch sind letzten 1,5 Kilometer über die breite Straße in Los Llanos genial. Egal ob rennend oder gehend, wir werden von allen Leuten am Straßenrand angefeuert. Die Cafés am Rande der Strecken sind voll jubelnder Menschen, irgendein Zuschauer reicht uns sogar noch zwei Dosen Isodrinks für die letzten Meter. Supergeil. Dann biegen wir auf die Zielgerade ein. Hier wird natürlich nochmal kurz gejoggt und dann haben wir das Ding im Sack. Als die Uhr dann 13:02 anzeigt, denke ich kurz, dass die Sub-13 wohl doch drin gewesen wären. Aber das ist mir dann auch völlig Wurscht. WIR SIND ULTRA!