Der Karwendelmarsch. Die letzten Wochen hat sich meine Twitter Timeline zu diesem Thema quasi überschlagen. Kein Tag verging, an dem nicht irgendjemand auf dieses Rennen hinfieberte. Und so rückte dieser Ultra mit seinen 52km auch in mein Blickfeld. Ich war etwas unentschlossen, weil der Karwendelmarsch hauptsächlich auf Forststraßen gelaufen wird und ich eigentlich technischere Rennen lieber mag. Ich spielte immer mal wieder halbherzig mit dem Gedanken mich anzumelden, schob es aber vor mir her. Ich wollte kurzfristig je nach Lust, Laune und Wetter entscheiden, da das Karwendel ja quasi um die Ecke liegt, so lange ich mich in Bad Reichenhall aufhalte.

Letzte Woche wurde es dann aber ernst, eine Entscheidung musste her. Die Anmeldung war eh schon zu, also musste ich morgens direkt am Start nachmelden, was bedeutete, dass ich noch früher da sein musste. Ich schaute mich zunächst nach Unterkünften um und wie zu erwarten: Sowohl am Startort als auch im Zielort war natürlich nichts mehr zu haben. Gedankenspiele begannen: Lohnt sich eine Unterkunft die 20km entfernt ist, wenn ich eh um 3 Uhr aufstehen muss? Oder soll ich einfach morgens von Bad Reichenhall aus hinfahren?

Biwak und Anmeldedrama

Mitten in meine Überlegungen platzte Marius, mit dem ich auch zusammen in Tromso war. Dort hatte ich schon mit ihm über den Karwendelmarsch gesprochen und er hatte kurzfristig auch Bock. Zu zweit würde das sicherlich ein Spaß. Noch dazu hatte er DIE Idee für das Übernachtungsproblem parat: „Das Wichtigste: Ich hab nen Gaskocher für Kaffee. Lass doch Freitag auf Samstag einfach biwaken“. Ich fand die Idee geil. Also: Gesagt getan. Das Wetter sollte gut und die Nacht warm werden, also war nicht viel Ausrüstung notwendig. Isomatte hatte ich, den notwendigen Schlafsack konnte ich glücklicherweise aus dem Fundus von Steve nutzen (danke dafür). Noch ein bisschen was zu futtern kaufen und schon gings am Freitag Mittag in Richtung Karwendel. Wir trafen uns im Zielort Pertisau, stellten da ein Auto ab und fuhren gemeinsam rüber nach Scharnitz. Leider dauerte die Fahrt durch einen kleinen Verfahrer etwas länger als geplant, dafür sind wir eine idyllische Straße am Walchensee entlang gefahren (ich glaub hier muss ich mal mim Radl her). Somit haben wir ein Biwak bei Sonnenuntergang verpasst. Dementsprechend hielten wir uns in Scharnitz nicht lange auf, sondern parkten direkt am Start und gingen mit den Rucksäcken los um ein gemütliches Plätzchen zu finden bevor es komplett dunkel wurde. Nach nur 10-15 Minuten hatten wir unseren Platz gefunden, schlugen das Nachtlager auf und starteten unsere Privatpastaparty mit Gaskocher in der Natur. Das Abenteuer des kleinen Mannes. Eigentlich völlig unspektakulär, aber einfach sehr sehr geil. Wieso macht man sowas nicht öfter? Es ist doch so einfach. Isomatte, Schlafsack, Stirnlampe, Verpflegung.

Um 22:00 legten wir uns schon ab. Mein Schlaf war zwar leicht und ich war bestimmt 10 mal wach, aber dennoch fühlte ich mich ziemlich frisch, als um 4:00 Uhr der Wecker klingelte. Vielleicht war es ja sogar gut nicht aus dem tiefsten Schlaf gerissen zu werden. Schnell wurden die Sachen wieder eingepackt und ab gings zur Anmeldung.

Einige Tage zuvor stand auf der Homepage des Karwendelmarschs, dass noch 400 Plätze für Nachmelder frei wären. Deshalb machten wir uns keinen übermäßigen Stress. An der Anmeldung angekommen gabs jedoch den Schock. „Alle 400 übrigen Plätze wurde schon am Vorabend vergeben, es gibt nur noch eine Warteliste. Wollt ihr da drauf?“ „Ja!“ „Das heißt aber, ihr müsst auf jeden Fall warten bis alle gestartet sind, weil wir erst dann sicher wissen, welche Läufer nicht gekommen sind.“ Jajajaja, wollten wir und waren Nachrücker #8 und #9. Und dann hieß es erstmal abwarten und hoffen, dass mindesten 9 Leute nicht ihre Startnummer abholen. Während die anderen Läufer nervös an den Start gingen, gingen wir erstmal Kaffee aufbrühen. Ganz langsam machten wir uns fertig, schauten uns den Start an und gingen dann wieder zur Nummernausgabe. Hier hatte sich eine Traube von gut 50 Leuten gesammelt, die alle noch auf ihre Chance hofften. Was ein Glück, dass wir schon kurz nach 4 Uhr hier waren und recht weit vorne auf der Warteliste standen. Die Zeit zog sich, aber nach gut 10 Minuten bekamen wir dann tatsächlich „unsere“ Startnummern. Und was soll ich sagen: Geiler hätte es nicht werden können, denn ich bekam die Startnummer #1 und Marius die #4. Die #1. Ich. Ich. Die #1. Geilo! So eine Startnummer ist nur ein Stück Papier und der falsche Name stand auch noch drauf (Danke Marc, dass du nicht gekommen bist :) ). Aber scheiß drauf: ICH WAR DIE #1! Es fühlte sich einfach gut an.

 

Mit dem Start hatten wir es nicht eilig, da sowieso schon alle weg waren und es einen neutralisierten Start gab. Also lieber das Feld noch ein bisschen auseinanderziehen lassen und nochmal gemütlich aufs Klo. Ist ja auch keine Selbstverständlichkeit, dass man diese Möglichkeit hat. Mit ca. 13 Minuten Verspätung machten wir uns schließlich auf den Weg.

Das Rennen

Wir waren uns beide nicht so ganz sicher, was das mit diesem Rennen geben würde. Auf dem Papier war die Strecke im Vergleich zu unseren letzten Ultras (Tromso Skyrace und Transvulcania) mit seinen 52km, 2200Hm und großem Forstweganteil relativ leicht. Andererseits bedeutete das ein deutlich höheres Tempo was wiederum eine ganz andere Belastung ist, als ständiges Rumklettern (Tromso) oder Durch-den-Sand-schlurfen (Transvulcania). Und außerdem: Ein Ultra ist und bleibt ein Ultra. Und Ultras tun halt meist auch weh. Man hätte sich dazu ja schon mal früher ein paar Gedanken machen können, aber wir fingen erst damit an, als wir schon auf dem Weg waren. „Etwas“ spät vielleicht. Also ließen wir die Sache einfach mal auf uns zukommen und wie sich herausstellte wurde unsere Taktik relativ schnell sowieso mehr oder weniger fremdbestimmt.

Es dauerte nur ein paar Minuten, da hatten wir schon die ersten gemütlichen Wanderer eingeholt. Das ist nicht despektierlich gemeint, sondern es gibt beim Karwendelmarsch wirklich ein Rennen und eine Wanderung und die Wanderer starten direkt nach den Läufern, wurden von uns also zuerst eingeholt. Ein paar weitere Minuten später befanden wir uns voll im Pulk. Wer schon mal beim JP Morgan Lauf oder einem ähnlichen Firmenevent mitgerannt ist, kennt das vielleicht: Es war ein wahrer Slalom-Lauf und 100te von Menschen waren unsere Slalomstangen. Wir pflügten durch das Feld und versuchten dabei die anderen Leute so wenig wie möglich zu erschrecken. Links, Rechts, durch die Rinne am Rand, kurz durchs Unterholz, Zick-Zack, kurzer Sprint. Dabei war die #1 oft von nutzen, denn wenn jemand meine Nummer gesehen hat wurde gerufen „Achtung, die Nummer 1“ und Leute gingen bei Seite oder machten sogar ein Foto. Auch wenn ich nur ein Hochstapler war muss ich zugeben, dass das enorm beflügelt hat. Und so legten wir noch eine Schippe drauf. Wenn wir schon die #1 und #4 tragen, wollten wir auch so rennen und rasten durchs Feld. Jedenfalls für unsere Verhältnisse. Marius hat mal nachgerechnet und kam insgesamt auf ca. 2000 überholte Wanderer und Läufer über die gesamte Distanz. Das klingt doch ganz gut.

 

Auch als sich das Feld langsam lichtete und wir kaum noch Wanderer, sondern dann die hauptsächlich Läufer einholten, behielten wir das Tempo bei und überholten weiter. War das schlau? Nein. War das geil? Aber sowas von. Wir waren uns sehr wohl bewusst, dass die Nummer nach hinten losgehen könnte, aber es machte einfach Spaß. Und wir waren hier um Spaß zu haben. Also machten wir nicht langsamer, sondern liefen einfach weiter bis wir den ersten Anstieg von 850Hm komplett durchgelaufen waren. Woohhaaaa! Wir würden schon sehen, wie lange das gut geht.

Nach einem schön trailigen Downhill kam dann der zweite Anstieg, den wir wieder im Laufschritt angingen. Jedenfalls die erste Hälfte, denn dann wurde es steiler und wir fingen nach gut 28 km erstmals an zu hiken. Die letzten 200 Hm hatten es dann in sich und es wurde erstmals mühsam. Kurz vor dem Ende stand ein Fotograf und Marius meinte wir sollten hier nochmal rennen für coole Fotos. Ich tat wie mir befohlen, rannte bergauf und direkt nachdem der Fotograf abgedrückt hatte, krampften beide Waden schön synchron so dass ich anhalten musste. Der Fotograf hatte seinen Spaß meinte aber, dass das Foto noch gut aussehe. Glück gehabt ;). Das wars wohl mit dem Bergaufrennen. Die Waden hatten gesprochen. Als nächstes folgte eine kurze Sektion, in der es nur 100 Hm runter und wieder hoch ging, in der wir uns etwas ausruhten und langsamer machten. Das beruhigte meine Waden und ich sollte den Rest des Rennens keine Probleme mehr haben. Vielleicht haben auch Salz und Zucker, die ich in rauen Mengen in mein Holundergetränk kippte, positiv dazu beigetragen.

Der folgende lange Downhill führte dann runter in die Eng (Km 35). Hierbei gab es den nächsten Beweis, dass unser Tempo einfach zu viel war. Mein linkes Knie meldete sich erstmals seit über einem Jahr wieder mit Schmerzen. Das doofe Ding poltert mit mir Tausende von Höhenmetern über Felsblöcke hinab, aber wenn es mal auf Forstwegen schnell laufen soll, quengelt es rum. So wurde der Downhill deutlich langsamer als gewohnt, weil ich versuchte das Knie so gut wie möglich zu entlasten. Ich hatte Bedenken, dass ich nun Marius aufhalte, aber als ich ihm ins Gesicht schaute, sah ich, dass es ihm nicht besser, sondern eher deutlich schlechter ging als mir. Ihm machten nun Sonne und Hitze ganz schön zu schaffen. Beim Rennen eher blöd, aber im Nachgang echt interessant, wie so einem Körper innerhalb von 30 Minuten der Sprit ausgehen kann, wenn man es übertreibt. Wieder was gelernt.

Nach der Eng folgt dann das Stück mit dem steilsten Anstieg von knapp 700 Hm. Wir zollten unserem schnellen Start jetzt endgültig Tribut und wanderten aus der Eng langsam raus. Bergauf machte mein Knie zum Glück keine Problem und so schraubten wir uns in einem gemächlichen, aber gleichmäßigen Tempo nach oben und jedenfalls für mich kam der höchste Punkte früher als erwartet. Im letzten Downhill war es dann echt schade, dass mein Knie weiterhin nicht so wollte wie ich und ich mehr auf Schmerzvermeidung als auf Tempo achten musste. Da jedoch auch Marius kein Interesse an mehr Geschwindigkeit hatte, passte das schon. Die letzten 10 km gehen dann in sanftem Gefälle bis nach Pertisau ins Ziel. Wenn man hier noch ein paar Körner übrig hat, kann man nochmal so richtig Gas geben. Aber wir hatten unser Pulver für heute verschossen und wollte nur noch ein Weißbier. So trudelten wir in gemächlichem Tempo dem Ziel entgegen. Dieser Abschnitt hat sich nochmal ziemlich gezogen und dass die Strecke weitgehend asphaltiert ist, war nicht unbedingt angenehmer für schmerzende Glieder. Aber auch das ging vorrüber und nach 6:16 Std. konnten wird dann zufrieden mit Weißbier anstoßen. Zum Abschluss dieses gelungenen Tages sprangen wir zur Abkühlung noch in den traumhaften Achensee. Ein schöneres Ziel kann ich mir kaum für einen Lauf vorstellen. Und nachdem wir uns erfrischt hatten, setzten wir uns noch für 1,5 Stunden auf die Zielgerade und jubelten die Läufer mit Kuhglocke ins Ziel. Falls sich irgendwelche Gäste des Restaurants in meinem Rücken gestört gefühlt haben sollten: Tut mir nicht Leid, denn jeder einzelne Läufer oder Wanderer hat sich den ohrbetäubendsten Lärm redlich verdient :D.

Der Karwendelmarsch – Einfach schön

Ich habe mich in diesem Bericht hauptsächlich auf mein Innenleben während und vor dem Rennen konzentriert. Was dabei eigentlich viel zu kurz gekommen ist: Die grandiose Landschaft im Karwendelgebirge. Auch wenn das Rennen weitgehend auf Forstwegen stattfindet und somit vielleicht den ein oder anderen Trailenthusiasten etwas abschreckt (ich war zunächst auch etwas skeptisch), ist das Gelände einfach fantastisch. Entlang des Weges erheben sich immer wieder majestätisch schroffe Gipfel und man erhascht dauernd tolle Weitblicke in idyllische Täler. Auch wenn ich technischere Rennen mit deutlich mehr Trails und Offtrails bevorzuge, habe ich den Karwendelmarsch von Anfang bis Ende genossen. Es ist eben mal etwas anderes und in meinen Augen genau das Richtige Rennen, wenn ein Trailrunner mal was Schnelles laufen will, ohne sich gleich von den anderen Vorzügen des Trailrunnings zu verabschieden und auf einen Straßenlauf zu wechseln. Wirklich sehr sehr geil. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dem Karwendel noch den ein oder anderen Besuch abstatten werde. Auf einige dieser Berge will ich auch mal rauf ;). Und auch das Rennen wird fürs nächste Jahr wieder in die nähere Auswahl genommen. Definitiv.

Hier, der Lauf bei Strava